Das Sachwertverfahren ist eines der drei gesetzlich anerkannten Verfahren zur Immobilienbewertung nach der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV). Es kommt insbesondere dann zum Einsatz, wenn es keine ausreichenden Vergleichsobjekte gibt oder die Immobilie nicht primär zur Ertragserzielung dient – also typischerweise bei selbstgenutzten Einfamilienhäusern, Doppelhaushälften oder Reihenhäusern.
Im Gegensatz zum Ertragswertverfahren, das auf Mieteinnahmen basiert, oder dem Vergleichswertverfahren, das ähnliche Marktverkäufe heranzieht, orientiert sich das Sachwertverfahren am **Substanzwert** der Immobilie – also an den tatsächlichen Herstellungskosten des Gebäudes und der baulichen Anlagen, abzüglich der Wertminderung durch Alter und Abnutzung. Ergänzt um den Bodenwert ergibt sich der sogenannte **vorläufige Sachwert**, der anschließend durch Marktanpassungsfaktoren auf das reale Preisniveau korrigiert wird.
Grundprinzip des Sachwertverfahrens
Das Sachwertverfahren folgt einem klaren Grundgedanken: Der Wert einer Immobilie ergibt sich aus den Kosten, die nötig wären, um ein gleichwertiges Gebäude auf demselben Grundstück heute neu zu errichten – abzüglich der altersbedingten Wertminderung.
Es beantwortet also die Frage: „Was würde es kosten, dieses Haus in seiner aktuellen Beschaffenheit heute noch einmal zu bauen?“ Damit stellt das Verfahren eine Art Wiederbeschaffungsrechnung dar und bildet den materiellen Wert der Immobilie ab, unabhängig von Spekulationen oder Renditeerwartungen.
Anwendungsbereiche des Sachwertverfahrens
Das Sachwertverfahren wird vor allem in den folgenden Fällen angewendet:
- bei selbstgenutzten Wohnhäusern, Einfamilien- und Zweifamilienhäusern,
- bei Eigentumswohnungen, wenn keine Vergleichswerte vorhanden sind,
- bei individuell geplanten oder besonderen Gebäuden (z. B. Villen, Architektenhäusern),
- bei Gewerbeobjekten ohne stabile Ertragsdaten,
- zur Wertermittlung für Versicherungen, Entschädigungen oder gerichtliche Verfahren.
Gerade bei Einfamilienhäusern, bei denen der Marktpreis stark von persönlichen Präferenzen abhängt (z. B. Lage, Geschmack, Ausstattung), bietet das Sachwertverfahren eine verlässliche und nachvollziehbare Grundlage für eine objektive Bewertung.
Gesetzliche Grundlage
Das Sachwertverfahren ist in den §§ 35 bis 39 der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) geregelt. Es definiert, wie die Herstellungskosten zu berechnen, welche Abschläge vorzunehmen und wie die Marktanpassungen vorzunehmen sind.
Zudem greifen Sachverständige auf die sogenannten Normalherstellungskosten (NHK) aus den Wertermittlungsrichtlinien (z. B. NHK 2010) zurück, die je nach Gebäudetyp und Bauweise standardisierte Richtwerte pro Quadratmeter enthalten.
Aufbau und Ablauf des Sachwertverfahrens
Das Sachwertverfahren läuft in mehreren aufeinander abgestimmten Schritten ab. Jeder Schritt liefert eine Teilgröße, die am Ende zum Gesamtsachwert (Verkehrswert) führt.
1. Ermittlung des Bodenwerts
Zunächst wird der Bodenwert bestimmt. Er ergibt sich aus dem aktuellen Bodenrichtwert, den die örtlichen Gutachterausschüsse regelmäßig veröffentlichen, multipliziert mit der Grundstücksfläche.
Beispiel: Liegt der Bodenrichtwert bei 500 €/m² und das Grundstück ist 600 m² groß, beträgt der Bodenwert 300.000 €.
2. Bestimmung der Herstellungskosten
Danach werden die Herstellungskosten des Gebäudes ermittelt. Grundlage sind die durchschnittlichen Neubaukosten je Quadratmeter (z. B. 1.800 €/m² für ein Einfamilienhaus mittlerer Ausstattung) multipliziert mit der Bruttogrundfläche.
Hinzu kommen die Kosten für Außenanlagen (z. B. Garage, Terrasse, Zuwege, Gartenmauer) sowie Baunebenkosten. Das ergibt den sogenannten **Bruttoherstellungswert**.
3. Alterswertminderung (Abschreibung)
Da die Immobilie nicht neu ist, wird eine **altersbedingte Wertminderung** abgezogen. Sie berücksichtigt Abnutzung, Modernisierungszustand und Restnutzungsdauer.
Die Berechnung erfolgt nach der Formel:
Wertminderung = (Alter des Gebäudes / Gesamtnutzungsdauer) × 100 %
Beispiel: Bei einer Gesamtnutzungsdauer von 80 Jahren und einem Alter von 20 Jahren ergibt sich eine Wertminderung von 25 %.
Der Wert des Gebäudes nach Altersabschreibung ist der sogenannte Gebäudesachwert.
4. Addition zum vorläufigen Sachwert
Gebäudesachwert + Außenanlagen + Bodenwert = vorläufiger Sachwert.
Dieser Wert stellt die Summe aller materiellen Werte dar, spiegelt aber noch nicht die tatsächliche Marktlage wider. In Zeiten steigender oder fallender Immobilienpreise kann der Marktwert erheblich von diesem rechnerischen Wert abweichen.
5. Marktanpassung
Um den rechnerischen Wert an das Marktgeschehen anzupassen, wird ein **Sachwertfaktor** angewendet. Dieser Faktor wird von den Gutachterausschüssen auf Basis realer Kaufpreise vergleichbarer Objekte veröffentlicht.
Beispiel: Beträgt der vorläufige Sachwert 500.000 € und der Sachwertfaktor 1,1, ergibt sich ein **angepasster Sachwert** von 550.000 €.
Dieser Wert entspricht dem **Verkehrswert** – also dem Betrag, den ein Käufer im gewöhnlichen Geschäftsverkehr voraussichtlich zahlen würde.
Vor- und Nachteile des Sachwertverfahrens
Vorteile:
- Ideal für selbstgenutzte Wohnhäuser ohne vergleichbare Marktpreise,
- objektive, transparente Herleitung über Baukosten,
- berücksichtigt tatsächliche Bausubstanz und Zustand,
- unabhängig von Miet- oder Renditeerwartungen,
- gut nachvollziehbar für Eigentümer, Käufer und Gerichte.
Nachteile:
- Marktanpassung notwendig – reine Baukosten spiegeln Marktwert oft nicht exakt wider,
- starker Einfluss von Annahmen (z. B. Nutzungsdauer, Zustand),
- bei Luxus- oder Spezialimmobilien nur bedingt geeignet,
- kein direkter Bezug zur Ertragskraft der Immobilie.
Unterschied zum Ertragswert- und Vergleichswertverfahren
Das Sachwertverfahren unterscheidet sich grundlegend von den anderen Bewertungsmethoden:
- Vergleichswertverfahren: orientiert sich an real erzielten Verkaufspreisen vergleichbarer Objekte – marktnah, aber nur bei ausreichender Datenlage sinnvoll.
- Ertragswertverfahren: basiert auf der Kapitalisierung von Mieteinnahmen – ideal für Renditeobjekte und vermietete Immobilien.
- Sachwertverfahren: konzentriert sich auf den baulichen Substanzwert – ideal für eigengenutzte Objekte, bei denen keine Marktmieten oder Vergleichspreise vorliegen.
Wann ist das Sachwertverfahren die richtige Wahl?
Das Sachwertverfahren eignet sich besonders für Immobilien, deren Wert sich nicht aus Erträgen oder Vergleichspreisen ableiten lässt – etwa bei:
- freistehenden Einfamilienhäusern mit individueller Architektur,
- ländlichen Immobilien ohne ausreichende Vergleichsverkäufe,
- historischen Gebäuden, die modernisiert, aber nicht vermietet sind,
- Wohnhäusern im Familienbesitz, bei denen keine marktüblichen Mieten erhoben werden.
Auch Banken nutzen das Verfahren, um den **Wiederbeschaffungswert** als zusätzliche Sicherheit einzuschätzen, insbesondere bei Finanzierungen ohne klare Marktreferenz.
Beispielrechnung – wie ein Sachwert entsteht
Ein Einfamilienhaus mit 150 m² Wohnfläche, Baujahr 2005, steht auf einem 500 m² großen Grundstück.
Bodenrichtwert: 600 €/m² → Bodenwert: 500 m² × 600 € = 300.000 €
Herstellungskosten (NHK 2010): 1.800 €/m² × 150 m² = 270.000 €
Altersminderung: 20 Jahre / 80 Jahre = 25 % → 270.000 € – 67.500 € = 202.500 €
Außenanlagen: 20.000 €
Vorläufiger Sachwert: 202.500 € + 20.000 € + 300.000 € = 522.500 €
Sachwertfaktor laut Gutachterausschuss: 1,05 → Endwert: 548.625 €
Der **Verkehrswert** der Immobilie beträgt somit rund **550.000 €**.
Fazit: Substanzorientierte Wertermittlung für individuelle Immobilien
Das Sachwertverfahren liefert eine solide, nachvollziehbare Grundlage zur Bewertung von Immobilien, deren Marktwert nicht unmittelbar aus Vergleichs- oder Ertragsdaten ableitbar ist. Es zeigt, welchen realen materiellen Wert die Immobilie besitzt – auf Basis ihrer Bausubstanz, Nutzungsdauer und Bodenwerte.
Für Eigentümer, Erben oder Käufer, die den tatsächlichen Wiederbeschaffungswert ihrer Immobilie wissen möchten, ist das Sachwertverfahren daher ein unverzichtbares Instrument. In Kombination mit Marktfaktoren bietet es einen realistischen, objektiven und rechtssicheren Blick auf den wahren Wert eines Hauses.





