Vorfälligkeitsentschädigung ist die Ausgleichszahlung, die Banken verlangen können, wenn ein Immobilienkredit vor Ende der Zinsbindung vollständig oder teilweise zurückgezahlt wird. Sie soll entgangene Zinsen kompensieren – hängt also u. a. von Restschuld, Restlaufzeit und aktuellen Kapitalmarktzinsen ab. Wichtig: Nach zehn Jahren seit vollständiger Auszahlung haben Darlehensnehmer ein gesetzliches Kündigungsrecht mit sechs Monaten Frist – dann fällt keine Vorfälligkeitsentschädigung an.
Definition, Rechtsgrundlagen & typische Auslöser
Zahlen Kreditnehmende ihren Baukredit vorzeitig zurück (z. B. wegen Verkauf der Immobilie, Umschuldung oder Sondertilgung über die vertragliche Quote hinaus), kann der Darlehensgeber eine „angemessene Vorfälligkeitsentschädigung“ fordern. Das gesetzliche Fundament: § 502 BGB (Anspruchsvoraussetzungen), flankiert durch Informationspflichten im Art. 247 § 7 EGBGB. Ein zentraler Gegenpol ist das Sonderkündigungsrecht nach § 489 BGB: Nach Ablauf von zehn Jahren seit vollständigem Empfang der Darlehenssumme darf mit 6 Monaten Frist entschädigungsfrei gekündigt werden.
Wann fällt sie an – und wann nicht?
- Fällt an: Vorzeitige Gesamtrückzahlung innerhalb der Zinsbindung (z. B. bei Verkauf/Umschuldung), soweit kein gesetzlicher Entfall greift.
- Fällt nicht an: Kündigung nach 10 Jahren gem. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB (Frist 6 Monate), Kündigung eines variablen Darlehens mit 3-Monats-Frist (§ 489 Abs. 2 BGB) oder wenn die Vertragsinformationen zur Berechnung der Entschädigung unzureichend sind (siehe unten).
Die 10-Jahres-Regel korrekt nutzen
Die Zehnjahresfrist startet nicht mit Vertragsunterzeichnung, sondern mit der Vollauszahlung des Darlehens. Bei Bauvorhaben kann das Monate nach Abschluss liegen. Ab diesem Stichtag dürfen Sie nach zehn Jahren jederzeit mit 6-Monats-Frist kündigen – entschädigungsfrei (§ 489 BGB).
Praxisbeispiel zur Frist
Vollauszahlung am 15.02.2015 → Kündigung nach § 489 frühestens zum 15.02.2025 möglich; Zugang der Kündigung sechs Monate vorher sicherstellen. Eine verspätete oder unklare Fristberechnung ist einer der häufigsten Fehler – immer kalendertagsgenau arbeiten.
Berechnung: Wovon die Vorfälligkeitsentschädigung abhängt
Banken modellieren den „Zinsschaden“ über finanzmathematische Verfahren. Üblich sind Varianten der Aktiv-Passiv-Methode bzw. Aktiv-Aktiv-Methode mit diesen Bausteinen:
- Restschuld zum Rückzahlungszeitpunkt
- Restlaufzeit bis Zinsbindungsende
- Vertraglicher Sollzins vs. Wiederanlage-/Refinanzierungszinssätze (Renditen sicherer Kapitalmarkttitel)
- Zahlungsströme (Ratenplan, Sondertilgungsrechte) und Abzinsung
- Kostenanrechnung (ersparte Risiko- und Verwaltungskosten)
Sinken die Kapitalmarktzinsen seit Kreditabschluss, ist der Zinsschaden höher (die Bank kann frei werdende Mittel nur zu schlechteren Konditionen anlegen). Steigen sie, schrumpft der Schaden – die Entschädigung fällt geringer aus.
Transparenzpflichten der Bank
Verbraucher müssen im Kreditvertrag klar und verständlich darüber informiert werden, unter welchen Voraussetzungen eine Vorfälligkeitsentschädigung anfällt und wie sie berechnet wird (Art. 247 § 7 EGBGB). Fehlen diese Angaben oder sind sie unzureichend, kann der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ausgeschlossen sein (§ 502 BGB i. V. m. Art. 247 EGBGB). In den letzten Jahren haben Gerichte entsprechende Klauseln wiederholt beanstandet.
Sonderfälle: Verkauf, Nichtabnahme, Teilrückzahlung
Verkauf der Immobilie: Ein Verkauf löst kein automatisches Kündigungsrecht aus. Die Bank kann einer Ablösung zustimmen – meist gegen Vorfälligkeitsentschädigung. Prüfen Sie, ob der 10-Jahres-Zeitpunkt nahe ist, ob sich eine Übernahme der Finanzierung durch den Käufer anbietet oder ob eine Ratenlaufzeitverkürzung (statt Vollablösung) die bessere Bilanz ergibt.
Nichtabnahmeentschädigung: Wird ein zugesagtes Darlehen gar nicht abgerufen (z. B. Objektkauf platzt), kann statt VFE eine Nichtabnahmeentschädigung anfallen. Auch hier greifen Informations- und Transparenzanforderungen des Verbraucherdarlehensrechts.
Teilrückzahlungen: Über vertragliche Sondertilgungsrechte hinausgehende Rückzahlungen können die Entschädigung anteilig auslösen. Tipp: Jahreslimit an Sondertilgung vor der Gesamtablösung voll ausschöpfen – das senkt die VFE spürbar.
Immobiliardarlehen vs. allgemeiner Verbraucherkredit
Die bekannte 1-%-Deckelung der Vorfälligkeitsentschädigung aus § 502 BGB gilt für Allgemein-Verbraucherdarlehen (z. B. Ratenkredite). Für Immobiliar-Verbraucherdarlehen (grundpfandrechtlich gesicherte Baukredite) greift diese harte Obergrenze nicht; stattdessen gilt der Grundsatz der „angemessenen“ Entschädigung – unter den genannten Transparenz- und Anrechnungspflichten.
So senken Sie die Vorfälligkeitsentschädigung in der Praxis
- Stichtag optimieren: Prüfen Sie exakt, wann die Vollauszahlung war – oft lässt sich mit § 489 BGB in Reichweite der 10 Jahre entschädigungsfrei kündigen.
- Sondertilgung vorab: Verbleibende Sondertilgungsrechte (vertraglich vereinbart) nutzen, bevor Sie komplett ablösen.
- Rechenweg prüfen: Lassen Sie die Bankberechnung nachvollziehbar offenlegen (Zinskurven, Anrechnungen). Intransparente oder fehlerhafte Ansätze sind angreifbar (Stichworte: ersparte Risiko-/Verwaltungskosten, Wiederanlagesatz).
- Alternative: Darlehensübernahme durch Käufer verhandeln (Zinsbindung & Konditionen passen), um VFE zu vermeiden.
- Timing & Teilablösung: Bei steigenden Zinsen fällt der Zinsschaden tendenziell geringer aus – die VFE sinkt. Manchmal lohnt abwarten oder eine teilweise Ablösung.
Checkliste für Ihr Vorgehen
- Vertrag & Informationspflichten prüfen (Berechnungslogik, Sondertilgungen, Fristen)
- Vollauszahlungsdatum ermitteln → 10-Jahres-Frist nach § 489 BGB kalkulieren
- Unverbindliche VFE-Berechnung der Bank anfordern (mit Dokumentation der Parameter)
- Angebote für Anschlussfinanzierung vergleichen (inkl. aller Nebenkosten)
- Bei Zweifeln fachlich prüfen lassen (Bankrecht / unabhängige Gutachter)
FAQ: Häufige Fragen zur Vorfälligkeitsentschädigung
Gibt es immer eine Vorfälligkeitsentschädigung bei Verkauf?
Nein. Sie entfällt z. B. bei Kündigung nach § 489 BGB oder wenn der Vertrag die Berechnung der Entschädigung nicht ordnungsgemäß erklärt (§ 502 BGB i. V. m. Art. 247 § 7 EGBGB).
Wie hoch kann die Entschädigung werden?
Es gibt keinen starren Kappungswert für Immobilienkredite; maßgeblich ist der tatsächliche Zinsschaden abzüglich ersparter Kosten. Die 1-%-Grenze des § 502 BGB betrifft nicht grundpfandrechtlich gesicherte Ratenkredite.
Kann die Bank die Kündigung nach 10 Jahren verweigern?
Nein. Das Kündigungsrecht steht allein dem Darlehensnehmer zu; die Bank kann es nicht ausschließen (§ 489 BGB).
Fazit: Rechte kennen, Stichtage planen, Berechnungen prüfen
Die Vorfälligkeitsentschädigung ist kein Automatismus – sie ist prüf- und planbar. Wer sein 10-Jahres-Recht aus § 489 BGB sauber terminiert, vertragliche Informationspflichten (Art. 247 EGBGB) checkt und Bankberechnungen kritisch hinterfragt, spart oft tausende Euro. Ob Verkauf, Umschuldung oder Neuordnung der Finanzen: Erst Fristen und Zahlen auf den Tisch – dann entscheiden.





